Sozio-Ontologie

Die Sozio-Ontologie ist ein von mir geschaffenes erkenntnistheoretisches Instrument, mit dem die Soziogenese untersucht werden kann. Es wurde in Auseinandersetzung mit der Theorie der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit von Berger/Luckmann entwickelt. Auch bei mir sind hierbei die wesentlichen Begriffe Externalisierung, Objektivation und Internalisierung. Bei mir sind diese Begriffe aber breiter einsetzbar und auch sonst gibt es entscheidende Unterschiede zu der Theorie von Berger/Luckmann. In meiner Theorie gehört die Externalisierung von Sinn zur segmentären Differenzierung bzw. Reproduktion in der Soziogenese, auf die dann nur die Objektivation von Leben und darauf die Internalisierung von Wert folgen kann. Bezüglich der funktionalen Differenzierung bzw. Reproduktion kann es nur eine Externalisierung von Wert, eine Objektivation von Sinn und eine Internalisierung von Leben geben. Die virtuelle Differenzierung bzw. Reproduktion zeichnet sich durch eine Externalisierung des Lebens, eine Objektivation des Wertes und eine Internalisierung von Sinn aus.Diese drei Begriffe halfen mir auch, mein Reproduktions- und Differenzierungskonzept erst zu begründen. Das abstrakte Modell für die soziale Reproduktion wird durch die Abläufe der mitotischen Zellteilung geliefert, jenes für die soziale Differenzierung durch diejenigen der meiotischen Zellteilung. Hier wird nicht der Versuch gemacht, soziale Phänomene durch Biologismen zu erklären. Die sozialen Erscheinungen werden aber erst möglich durch die individuellen Beiträge zu ihnen und diese erst durch das sich kontinuierende organismische Leben. Deshalb liefert die Untersuchung der biologischen Zellteilungsvorgänge zwar nicht die Begriffe für soziale Phänomene, aber doch die Ordnung für die Begriffe der gesellschaftlichen Differenzierung und Reproduktion.

 

 

Narzissmus(I)

 

a.)In dieser kurzen Darlegung spielt die Sozio-Ontologie nur insofern eine Rolle, als die folgenden Erklärungen auf ihrer Anwendung beruhen, nämlich auf der Unterscheidung zwischen Externalisierung, Objektivation und Internalisierung. Diese Begriffe seien hier nur kurz und vorläufig erklärt. Externalisierung (“Entäußerung”) meint, dass etwas aus einer Einheit hinaus in ein Feld gebracht wird, dem diese Einheit immanent zugehört. Das, was in diesem Feld als Substanz verborgen ist, ist in dieser Einheit für sie selbstverständlich, in ihr nur anders vorhanden. Durch dieses Hinausbringen entsteht für die Einheit und im Feld ein transzendentes Verhältnis von der Einheit zu sich selber, das in einem geschlossenen Verlauf wieder reduziert wird. Der nächste Schritt  dieses Verlaufes, zu dem die Externalisierung als erster Schritt gehört, ist die Objektivation (“Vergegenständlichung”). Objektivation meint, dass von der Einheit zu ihrem nach außen Gebrachten, nun Selbständigen eine Beziehung aufgebaut wurde bzw. entstanden ist. Es folgt ein Rückkoppelungsprozess, der genauso ein Vorkoppelungsprozess ist, weil die Ausstrahlung von dem Herausgebrachten nicht nur in Richtung der Ausgangseinheit erfolgt, sondern wie eine schwächer werdende Welle sich in alle Richtungen hin gleichmäßig verteilt. Die Welle wird aber nur insofern schwächer, als sie die Resonanz als Medium der Rückkoppelung nutzt und verschmilzt ansonsten mit der Feldsubstanz. Dies ist schon der Anfang der Internalisierung(“Einverleibung”), denn durch diese Rückkoppelung wird das Feld nun in die Einheit zurückgebracht und zwar innerhalb eines Zeitraums und mag dieser nur verschwindend klein sein, sodass die Feldsubstanz nicht nur synchron in der Einheit existiert, sondern nun auch noch synchron-diachron. In diesem Feld, das in der Sozio-Ontologie als gesellschaftlicher Zusammenhang aufgefasst wird, ist Platz für unzählige Einheiten, die durch die Einheit dessen, was im Verlauf den Fortgang bestimmt, verbunden sind. Eine diachrone Anschauung ist also hier von einer synchronen Anschauung getrennt, die wieder (nun aber nicht nur anschauungsmäßig) absolut konvergieren, nachdem sie absolut divergierten.

Nun sollen diese Begriffe auf die Phase des Narzissmus, die sich generell durch den Bezug auf Polaritäten auszeichnet, angewendet werden. Der Beginn dieser Phase liegt ungefähr in den frühen 1910ern (nicht lange vor dem 1.Weltkrieg). Ihr Ende ist ungefähr in den späten 1980ern auszumachen. Die erste Unterphase dieser Phase möchte ich allgemein als die Weltkriegs-Phase bezeichnen. Sie ist durch den Bezug einer Weltkultur (konkret:Europas) auf sich selbst geprägt.  Die zweite Phase ist die Phase des kalten Krieges, in der sich auf den Anderen bezogen wird (konkret: die USA und die SU beziehen sich gegenseitig aufeinander). In der dritten Phase, dem Faserkrieg (oder etwas ungenauer: Nervenkrieg), wird sich auf das bezogen, was außerhalb des Anderen liegt (konkret: China, Japan, Indien, Afrika, Israel und der Islam als weltgeschichtlich eigenständige Subjekte).

In dem Vorspann zu der Interpretation des Gedichtes “Night-Litany” von Ezra Pound wurde von dem “Setzen” im Hegelschen Sinne gesprochen und eine wahrscheinliche Antwort auf die Frage gegeben, warum die Faschisten für einen Großteil der Bevölkerung glaubwürdig die Epochenmacht beanspruchen konnten, obwohl Gewalt ein Mittel der Wahl war: die Gewalt musste “gesetzt” werden. Dieses “Setzen” soll hier durch den Bezug auf die Sozio-Ontologie von einem “Legen” und einem “Stellen” unterschieden werden. “Stellen” bedeutet externalisierungsmäßiges Unterscheiden, “Setzen” objektivationsmäßiges Unterscheiden und “Legen” internalisierungsmäßiges Unterscheiden. Diese Unterscheidungsvorgänge finden jeweils aktual und jeweils im Anschluss an den vorhergehenden Unterscheidungsvorgang gleicher Art statt. Das “Stellen” von Gewalt meint z.B. zumindest den Aufbau eines Gewaltpotentials, z.B. einer schlagkräftigen Armee mit dem Bezug auf einen möglichen Einsatz. Das “Setzen” von Gewalt  bedeutet z.B. in einem Prozess die Einholung der Legitimation für eine Freiheitsrestriktion, die mit Gewalt durchgeführt wird bzw. bis zum Ende mit Gewalt verbunden ist. Z.B. geht die Rolle der Polizei in Staat und Gesellschaft, so wie sie vom Grundgesetz festgelegt wird, in einer ausdifferenzierten Weise auf einen solchen Akt zurück. Das “Legen” von Gewalt ist dagegen oft nicht sichtbar. Wir sind oft Gewalt ausgesetzt, einfach  weil wir abhängig von gewissen Substraten sind, wie z.B. der Verständigung, die einseitig sein kann.

In der ersten Phase des Narzissmus war für die Menschen die Notwendigkeit evident, dass die Gewalt “gesetzt” werden musste, sie selber konnten sie aber nur “stellen”. Diese Differenz zwischen “setzen” müssen und nur “stellen” können zeichnet die negative Epochenmacht im Allgemeinen aus, im kalten Krieg jedoch auf das Gebot bezogen und im Faserkrieg auf das Gefühl.  Auf meine Anfangsfrage waren auch zwei unwahrscheinliche Antworten möglich, die erst in den folgenden zwei Phasen aus dieser wahrscheinlichen Antwort “ausgeklinkt” werden mussten: die Gewalt musste nicht “gesetzt” werden (ausgeklinkt in der zweiten Phase), die Gewalt durfte nicht “gesetzt” werden (ausgeklinkt in der dritten Phase). Diese Unterscheidung zwischen “Wahrscheinlichkeit” und “Unwahrscheinlichkeit” findet sich in dem auf das “Setzen” bezogenen Objektivationsschema des Narzissmus, das im Folgenden näher vorgestellt wird.

b.)

 

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Das Objektivationsschema des Narzissmus

In diesem Schema sind die unwahrscheinlichen Antworten hervorgehoben. Die erste auf die wahrscheinliche Antwort folgende unwahrscheinliche Antwort wird durch die Negation des Prädikats (“Setzen”) erzeugt, die darauf folgende unwahrscheinliche Antwort durch die an diese Negation anschließende Negation des Sinns der Kopula(“müssen”). Neben der negativen Epochenmacht sind das negative Epochengeld und das negative Epochenwissen die weiteren Spaltenkategorien. Als negative Epochenmacht möchte ich die Macht bezeichnen, die sich lediglich in der Erscheinung zeigt. Negatives Epochengeld ist das Geld, mit dem der damit Betrogene nichts anfangen kann. Negatives Epochenwissen ist das Wissen, das in der Beschattung kein Licht an den Gegenstand lässt. Negatives Epochengeld ist auch neutrale Epochenmacht, negatives Epochenwissen ist auch neutrales Epochengeld sowie positive Epochenmacht. In der Epoche des Narzissmus kommt objektivationsmäßig also weder das positive Epochengeld noch das neutrale Epochenwissen sowie das positive Epochenwissen vor. Neben diesem Objektivationsschema des Narzissmus muss es noch ein weiteres geben, das sich auf den synchronen Aspekt konzentriert und in dem sich der Unterschied zwischen Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit finden lässt.

Der Faschismus hat in Deutschland nur die letzte Phase der Weltkriegs-Phase des Narzissmus geprägt. Das Objektivationsschema weist darauf hin, dass eine kritische Geschichtswissenschaft das Faktum miteinbeziehen muss, dass , wenn die Taten in dieser Phase von Generationen in späteren Phasen gebrandmarkt werden, sich womöglich (wahrscheinlich?) durch Wahrscheinlichkeiten in dieser späteren Phase auf Unwahrscheinlichkeiten in einer früheren bezogen wird. Andererseits wäre eine Nicht-Brandmarkung der objektiven Taten unter dem Nationalsozialismus auch überhaupt nicht verständlich. Trotzdem gibt es eine (wie breite?) Grauzone, wo sich Heucheleien von Vorgeborenenverdammern und der absolute Reaktionismus “Gute Nacht” sagen.

c.) Das Einerseits, dass der Bezug durch die spätere Wahrscheinlichkeit auf die frühere Unwahrscheinlichkeit irrt, und das Andererseits, das Unverständliche der Nicht-Brandmarkung der objektiven Taten, werden beide durch das Schema “gedeckt”, denn durch das Erstere werden Differenzen im Schema aufgelöst, und durch das Letztere wird angezeigt, dass sie weiterführen, wenn sie intakt bleiben. Je mehr sich durch die spätere Wahrscheinlichkeit auf die frühere Unwahrscheinlichkeit bezogen wird, desto mehr wird die Differenz zwischen der früheren Wahrscheinlichkeit und der früheren Unwahrscheinlichkeit aufgelöst – teilweise oder gänzlich. Die Nicht-Beachtung der Zeilendifferenz hebt also die Spaltendifferenz auf. Das Unverständliche der Nicht-Brandmarkung bedeutet, dass die Beachtung der Spaltendifferenz die Zeilendifferenz intakt lässt.

Zur Beachtung der Zeilendifferenz muss eine kritische Geschichtswissenschaft (die dann aber immer noch inner-narzisstisch operieren würde) “Rückkehr- verhinderungsmerkmale” “setzen”, also dass man sich objektivationsmäßig nur durch die spätere Unwahrhaftigkeit auf die frühere Unwahrscheinlichkeit beziehen kann bzw. (Gegenprobe!:) durch die frühere Unwahrhaftigkeit auf die spätere Unwahrscheinlichkeit. Andere Bezüge sind in diesem Zusammenhang bei den Objetivationsschemata nicht möglich. Diese beiden Bezüge können als Relationen zwischen dem synchronen und dem diachronen Objektivationsschema begriffen werden, die mehr als bloße Differenzen dann sind, wenn vom Abstrakten zum Konkreten fortgeschritten wird. Die Differenz zwischen dem vorgestellten diachronen Objektivationsschema und dem synchronen Objektivationsschema wird dadurch positiv, dass die schemabestimmende Differenz zwischen Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit auf gleicher diachronischer Stufe im Ersteren negativ wird. Die nichtbeachtete Zeilendifferenz verschafft sich in der Diachronisierung der Unwahrhaftigkeit wieder Geltung. Dieses “Setzen” der kritischen Geschichtswissenschaft kontert unkontrollierte bewusste intraschematische Diffusion durch kontrollierte  unbewusste interschematische Konfusion. “Kontrolle” meint ja ursprünglich nicht global “etwas unter seiner Herrschaft haben”, sondern ein Gegenregister (“Gegenrolle”) zu besitzen, mit dem man die Angaben des Originalregisters prüfen kann. Man herrscht durch Kontrolle im ursprünglichen Sinne im Bereich der Objektivation, weil man die Vergleichsmöglichkeiten für eine Gegenprüfung in seiner Hand hat.

Die Positivierung der Differenz bedeutet das Fortschreiten vom Abstrakten zum Konkreten, die Negativierung der Differenz das Fortschreiten vom Konkreten zum Abstrakten. Die Positivierung der Zeilendifferenz im diachronen Objektivationsschema des Narzissmus ist selber die Geschichte, die positivierten Spaltendifferenzen sind die Kämpfe in ihr. Vom Schema, dem absolut Abstrakten, weg führt nur der eine Weg der Positivierung der schemainternen Differenz, zu ihm hin nur die Negativierung der  schemainternen Differenz. Beachtung oder Nicht-Beachtung der Differenzen im Schema sind jeweils Arten des Sich-vom-Schema-Wegbewegens, denn es – als schon Existierendes – kümmert es nicht, ob Bewusstsein mit ihm kongruent oder inkongruent ist. Aber diese Akte sind gleichzeitig Arten des Sich-zum-Bewusstsein-Hinbewegens. Positivierung der Differenzen (der gesamten Einzelnen) bedeutet Negativierung des Schemas (des einzelnen Gesamten), Negativierung der Differenzen Positivierung des Schemas. Das Schema ist also eine Weise der Auflösung von Bewusstsein. Wenn nur eine der Differenzen des Schemas negativiert wird und sie damit aus ihm herausgelöst wird, geschieht das oben Beschriebene und dort bezüglich der speziellen Differenz näher Erläuterte. Indem es geschah, weil es geschehen sollte, das “Sowieso” eintrat, die kritische Geschichtswissenschaft in ein Gewissen, wurde das “Setzen” die punktuale Operation selber; das Setzen wurde dadurch gesetzt (der Raum der Erinnerung) und gleichzeitig nicht gesetzt (die Zeit der Erinnerung) und damit wurde Hegel überwunden und in seinem Unverständnis gegenüber Kant erlöst. Der nächste Schritt wäre konsequenterweise die Erlösung Schopenhauers in seinem Unverständnis gegenüber Hegel. Dazu müsste ein auf das “Legen” bezogenes Internalisierungsschema verwendet werden. Dadurch wird zusätzlich die zentrale, aber in dieser Zentralität lediglich verbindende Stellung Hegels in der deutschen Philosophie deutlich, auf die in ihren wesentlichen Erscheinungsformen eine Theorie der virtuellen Differenzierung Bezug nehmen müsste.

Es kann unendlich viele Schemata geben, die alle von der einen Logik abstammen, und deshalb – obwohl von unendlicher (Nicht-)Zahl – jeweils die einzig mögliche Beschreibung darstellen. Aufgrund des festgelegten Verhältnisses zwischen Einzelnem und Gesamtem gibt es keine Freiheitsspielräume innerhalb des Schemas. Das Problem, das viele Soziologen, Philosophen und Normalsterbliche mit der Darstellungsform des Schemas haben, kann also weder von der Einschränkung herrühren, da es unendlich viele geben kann, noch von beliebig wählbaren Kategorien. Die Beliebigkeit betrifft nur das ganze Schema und ist die Beliebigkeit, die der Genese allgemein anhaftet. Die einzige Einschränkung sind wir selber.