Sozio-Ontologie (II)

Narzissmus (II)

a. In diesem Text soll beschrieben werden, wie sich der Narzissmus das weltkulturelle Gefüge passend machen konnte. Die erste Voraussetzung für das Erreichen der kulturellen Stufe des Narzissmus ist die Existenz von “Welt”, sodass eine Kultur nach der anderen oder einige Kulturen nach anderen Kulturen ein Verhältnis zur Welt entwickeln konnten, dessen Art und Weise unmittelbar nicht vieldeutig ist, sondern das man nur ergreifen muss. Mit dem Ergreifen beginnt dann aber – mittelbar – die Vieldeutigkeit, denn man konnte nicht darauf vorbereitet sein, was man zu fassen bekam. Das Welt-Verhältnis ist also zuerst im Narzissmus nur formal bestimmt, jedoch nicht material. Diese Materie bildet sich dann in dem Maße heraus, wie die eigene Kultur selber zur Welt wird und so wie die Kultur zur Welt wird, entlässt sie das Individuum in die Welt. Am Ende jeder Narzissmus-Phase machen bestimmte Kulturen  (und letztlich alle) diese Transformation durch, das Verschwinden der Kultur als Selbst und das Auftauchen derselben Kultur als Welt. Beide Bezeichnungen sind nur im weltkulturellen Kontext des Narzissmus zu verstehen. Die Kultur als Selbst istnur insofern für andere Kulturen als diese für sie sindund  diese Kulturen sind nur insofern für sie als sie (als Selbst) für diese Kulturen ist. Dass diese anderen Kulturen für die Kultur als Selbst nur (material) unbestimmt existieren und sie nur selber für sich (material) bestimmt, trifft jedoch nur für  Europa in der Weltkriegs-Phase zu. Wenn zwei Kulturen zusammen in einer Phase jeweils als Selbst vorkommen, existieren sie durch ihren Gegensatz füreinander in bestimmter Weise und in der dritten Phase des Narzissmus bestehen sogar drei mal  zwei Kulturen füreinander bestimmt in bestimmter Weise.

Der Narzissmus insgesamt fängt deshalb auch mit dem Selbstbezug einer Kultur und zwar Europas an, weil es die für den Narzissmus einfachste Grundform besaß. Weil Europa nicht nur der Unbestimmtheit der anderen Kulturen gegenüberstand, sondern der Unbestimmtheit aller anderen Kulturen, befand sich Europa in einer Situation, in der nur es die Kraft besaß, sich die Welt zur Gänze in ihrer genauso großen Kompaktheit wie Verschlossenheit anzueignen. Sich dabei zu verfangen, war die Lust, die mit dem Schmerz akzeptiert wurde. Umso bitterer, nach der Lusterfüllung festzustellen, wie die Aufnahme des Weltverhältnisses schon vorbestimmt und man diese Fesseln erst los war, nachdem man Menschen des eigenen Volkes und Menschen anderer Völker großes Leid (das besonders große Leid der jüdischen Bevölkerung darf nicht übersehen werden) zugefügt hatte. In Bezug auf Letztere auch deshalb, weil nun ihr Wesen ebenso im Innern nicht nur als Mittel zum Zweck (z.B. “der Sklave als Slawe”) verstanden wurde. Nach der Zerstörung baut sich der Kulturprozess von neuem auf: die Wiederauferstehung vor der Zerstörung, denn nun ist der Andere, den man vernichten wollte, ein essentieller Bestandteil dieses Kulturprozesses und der narzisstische Prozess hörte nicht auf, bis jeder Andere miteinbezogen wurde.

Doch dieses Miteinbeziehen hatte eine klare Richtung. Auch innerhalb Europas, das sich in der Weltkriegs-Phase auf sich selber bezog, und der Andere, den man unterwerfen oder vernichten musste (jedoch nicht zwangsläufig mit irgendeiner Form von Gewalt  – nur das Selbstgefühl muss im Narzissmus gesteigert werden), war nur scheinbar u.a. französischer und englischer Herkunft. Im Grunde war dieser Andere nur man selbst.  Da der Weg aber über den Anderen führte, der im Narzissmus in Menschen anderer kultureller Herkunft ausgemacht werden konnte, gab es zu weite Wege (z.B. der Slawe als Anderer) und noch unmögliche Wege (der Jude als Anderer). Der Weg über den Slawen als Anderen war nur zu weit und nicht noch unmöglich, weil das Slawentum im System des Narzissmus ein direkter Nachbar Europas ist und nicht nur ein geographischer Nachbar.

Noch weniger konnte in der Weltkriegs-Phase der Weg zu sich selbst über den Juden als Anderen führen. Wie nahe die Nichtbevorzugung einer temporären Gegnerschaft bei der Vernichtung der nicht-erwünschten kulturellen Individualität im Zusammenhang der Kultur, innerhalb derer die Konflikte tatsächlich stattfinden, liegen kann, hat die Geschichte gezeigt. Wer nicht ”als Europäer” (die kruden Selbstbeschreibungen der Nazis wie ”Arier” etc. einmal beiseite gelassen) gebraucht wurde, den servierte man ab. Der menschliche Adel, der dieses grundsätzlich verhindern konnte, der wurde noch gesucht. Es blieb die Frage (wo beginnt die Amnesie?), ob der Fakt , dass das Unglück der kontinentaleuropäischen Juden gerade kein grundsätzliches nationales Unglück darstellte, einen Trost für die Nationen bedeuten kann, die es in Europa sodann in ihrer urtümlichen, sich selbst findenden Art nicht mehr geben würde. Die einzige Rechtschaffenheit, die das deutsche Volk noch zu bieten hatte, musste in die nächste Generation fließen.Der danach aus der Taufe gehobene jüdische Staat kann dagegen  diesen Charakter der Urtümlichkeit und das Wesen der Selbstfindung nicht loswerden, bis er – zu einer Kaste abgestorben und emporgehoben – ein Teil des indischen Kultursystems geworden ist, der ethischen Heimat des Judentums. Dann wird sich die “Entwicklung” in einem Kreis geschlossen haben, die mit der ersten (durch Moses vorgenommenen) Gleichschaltung der Geschichte begonnen hatte, und der  für einen Sohn des von ihm abgefallenen Volkes wahrscheinlich nur eine Linie (die Seite eines Dreiecks) war, bevor es seines zentralen geographischen Standortes verlustig ging.

Natürlich gibt es die Faktizität(sie ist immer konstruiert!) geradezu dafür, um an allen Orten und zu allen Zeiten bezweifelt und bestritten zu werden. Wer aber behaupten würde, dass das Unglück der kontinentaleuropäischen Juden ein grundsätzliches nationales Unglück darstellte, der müsste folgenden Aussagen zustimmen: 1. dass dieses von der Mehrheit des deutschen Volkes zur Nazizeit auch wahrgenommen wurde, 2. dass es in der Nachkriegszeit kein Phänomen der “heilen Welt” noch bis in die Mitte der 60er Jahre gegeben hat, und 3. dass, wenn das Judentum sich als einen integralen Bestandteil des u.a. deutschen Volkes definieren würde, es sich nicht um sein Ziel einer eigenen Nation betrügen würde. Wenn man die Faktizität durchschaut, erkennt man die zwei Seiten der Medaille: Leugnen macht Sinn, aber nur den Sinn des Geleugneten. Statt sie zu durchschauen, hat Hitler sich von ihrer bloßen Form anwerben lassen, sodass er das Gegenteil von dem war, was er vorgab zu sein. Er verkörperte in seiner Rolle nur das, was gerade reichte, um eine Mehrheit um sich zu “scharen”, die spätestens in der Mitte der dreißiger Jahre die Mehrheit des deutschen Volkes war. Bezüglich der ersten Aussage wäre noch darauf hinzuweisen, dass in der Zeit der Weimarer Republik bzw. der Naziherrschaft im Gegensatz z.B. zu den 70er und 80er Jahren zur Konstituierung von gesellschaftlicher Wahrheit noch die Mehrheit erforderlich war. Die dritte Aussage wäre sicherlich noch deutlicher formuliert, wenn man nicht von einer “eigenen Nation”, sondern von “Autochthonie” sprechen würde, denn der Nationen-Begriff passt präzise nur auf Europa, die Slawen und die USA (im folgenden Schema:auf Kulturen in der Universalismus-Spalte). “Internationalität” gibt es nur bezüglich Europas. Es handelt sich hier um  einen dynamischen Begriff, in dem es immer um konkrete Inhalte geht. So gesehen missachtet  der Begriff der “internationalen Solidarität” gerade das Wesen der Internationalität, weil er Nationen nur unter einer Klassenperspektive wahrnehmen kann. Er wäre im zweitschlimmsten Fall nur eine motivationale Krücke, weil man sich ohne ein “Klassen”-Scharnier keine Internationalität vorzustellen wagt. Selbst eine naive Herangehensweise wäre dieser noch vorzuziehen.

 


Das narzisstische Weltsystem

Diese Schemata zeigen (oben) die im Narzissmus vorhandene Weltordnung und im Detail (unten)die internationale Ordnung Europas. Der Fortschritt innerhalb der gesamten Narzissmus-Epoche verläuft zuerst senkrecht und danach natürlich waagerecht. Also: zuerst besitzt nur das erste Feld einen Inhalt (Europa), dann besitzen im zweiten Schritt die senkrecht folgenden Felder (Slawen, USA) Inhalte und im dritten und letzten Schritt die verbliebenen sechs Felder. Das narzisstische System schreitet also von einer unipolaren Ordnung über eine bipolare zu einer hexapolaren fort. In diesem Schema steht die narzisstisch einfachste Kultur  links oben und die schwierigste rechts unten. Die Schwierigkeit nimmt zuerst nach unten hin zu; die nächstschwierigere ist dann jene in der nächsten Spalte und der ersten Zeile, usf. .  Die Tabelle und somit die äußere Konstruktion des narzisstischen Systems ist so geordnet, daß die Spalten zusammen für den idealistischen Gemeinschafts-Aspekt (“der Mensch ist des Menschen Gott”) und die Zeilen für den realistischen Gesellschafts-Aspekt (“der Mensch ist des Menschen Wolf”) stehen. Beide Aspekte lassen sich nach dem Prinzip “universum/totum/pars” unterteilen. Jede Kultur steht in diesen Schemata stellvertretend für eine Idee, denn die Synthese von Realität und Idealität ist die Idee. Deutschland steht also im europäischen Maßstab stellvertretend für die Idee des universalen Universalismus (der einheitlichen Einheit) bzw. ist die Kultur des universalen Universalismus in Europa. Japan ist z.B. die Kultur des universalen Totalitarismus in der Welt. Das Adjektiv bezeichnet also den realen Aspekt der Idee und das Substantiv den idealen. Das Besondere der narzisstischen Idee liegt in der bikomponierten Form begründet, in der die Realität und die Idealität in der Idee aufgehoben sind. Um die in diesem Zusammenhang hinderlichen historischen Konnotationen zu vermeiden, sollten diese Begriffe (wie z.B. universaler Universalismus) letztlich durch den Rekurs auf Standardelemente definiert werden. Mein Totalitarismus-Begriff ist auch ein gänzlich anderer als jener der Totalitarismus-Forschung, die ein gutes Beispiel für eine Disziplin darstellt, die einen Begriff bis zur Unbrauchbarkeit mit Bedeutung aufgeladen hat und daraus auch noch die Legitimation für ihre Existenz zieht. Da jener Rekurs aber trotz der Einfachheit dieser Standardelemente (deren Konstruktion ebenfalls auf dem Prinzip “universum/totum/pars” aufbaut bzw. es auf sich selbst bezieht) platzaufwendig ist und zum ersten Verständnis die reine Wortbedeutung reicht, soll zunächst z.B.  die japanische Kultur in dem narzisstischen Welt-Schema dadurch definiert sein, dass in ihr die Gemeinschaft als eine Ganzheit(Totalitarismus) immer wieder hergestellt werden muss, währenddessen sich die Gesellschaft durch eine einheitliche(universale) Gliederungsweise auszeichnet.

 


Das narzisstische System Europas

Die folgenden Schemata sollen die formalen und materialen Bestimmtheiten des europäischen Weltverhältnisses in der Weltkriegs-Phase und im Kalten Krieg verdeutlichen. Man sieht im ersten Schema, dass die formale Bestimmtheit des Weltverhältnisses zuerst in den narzisstischen Nachbarkulturen real wird und über sie erst in deren Nachbarkulturen. Man könnte von einem “ausstrahlenden System” sprechen. Wenn nun Europa nach (oder während) dem zweiten Weltkrieg zur Welt geworden und somit sein Weltverhältnis material bestimmt war, so setzte diese Materialisierung der Bestimmtheiten an diesem System an. Dieses ausstrahlende System der materialen Bestimmtheiten wäre aber nur das primäre gewesen, das durch die Synchronie gekennzeichnet ist. Auf diesem baut ein sekundäres System auf, das durch die Diachronie gekennzeichnet ist, und das aufgrund des “gesellschaftlichen Primats der Diachronie”  – gesellschaftlich gesehen – das wahre System darstellt. Dabei folgt dieses diachrone System in seiner Struktur dem Ablauf  der gesamten narzisstischen Phase: auf die Unipolarität folgt die Bipolarität und auf diese die Hexapolarität. Also: das zunächst nur für sich selbst material bestimmte Europa war zur Welt geworden und sein material bestimmtes Weltverhältnis  nun in den bipolaren Kulturen (Slawen,USA) real geworden und über diese in den hexapolaren; und zwar über die Slawen in den partikularistischen hexapolaren Kulturen und über die USA in den totalitaristischen hexapolaren Kulturen. In diesem wahren System sind aber die hexapolaren Kulturen für die bipolaren Kulturen nur formal bestimmt, deshalb sind Erstere über diese Vermittlung für Europa in dem sekundären System material-formal bestimmt. Man könnte hier wohl am ehesten von einem “Block-System”  sprechen.

 


Die formalen Bestimmtheiten des Weltverhältnisses von Europa in der Weltkriegs-Phase

Die materialen Bestimmtheiten des europäischen Weltverhältnisses im Kalten Krieg (primäres, synchrones System)

Die materialen Bestimmtheiten des europäischen Weltverhältnisses im Kalten Krieg (sekundäres, diachrones System)

b. Dass gerade das deutsche Volk  (und nicht z.B. das französische oder englische) den Großteil der Schuld an den Opfern der beiden Kriege trägt, liegt ebenfalls wesentlich in der im Narzissmus vorgegebenen Struktur des internationalen Systems begründet. Denn Deutschland nimmt innerhalb des internationalen Systems von Weltkriegs-Europa die Stellung ein, die Europa im (internationalen?) Weltsystem einnimmt. Das Weltverhältnis von Europa wird in der ersten Phase des Narzissmus direkt nur über seine Nachbarn in diesem System vermittelt und diese sind die slawische Kultur (Ideologiehunger und Heimatbewusstsein;Boden) und die japanische Kultur (die Gesellschaft als geschlossene Einheit;Blut). Das Gleiche ist für Deutschland im europäischen Maßstab der Fall. Deutschlands Nachbarn im europäischen narzisstischen System sind aber Frankreich(nationalrevolutionärer Gestus und Volksarmee) und Italien (römische Imperialität). Wie schon erwähnt, ist das Weltverhältnis nur erst formal bestimmt. Dabei ist sich Europa insgesamt dieser Beschränkungen bei der Aufnahme des Weltverhältnisses noch weniger bewusst als Deutschland für sich, da  die anderen europäischen Nationen in der Phase des Weltkriegs-Europas gemeinsam mit Deutschland in das spezifische europäische Weltverhältnis eintreten. Deshalb muss Deutschland auch hinsichtlich der Ereignisse der dreißiger Jahre zumindest im Hinblick des Verweises des europäischen Binnenverhältnisses auf das Weltverhältnis Europas sich dieser Beschränkungen ansatzweise bewusst gewesen sein. Da aber die Schuldfrage aufgrund des Selbstbezugs, der auch innerhalb Europas das bindende (aber in diesem Zusammenhang nun nicht unbedingt zwingende) Prinzip der Vergemeinschaftung in dieser Zeit war,  in Deutschland nur außerhalb(!) des internationalen Zusammenhanges gestellt wurde, konnte auch dieses Bewusstsein Deutschland nicht vor den Dummheiten bewahren, die dann tatsächlich passiert sind, konkret: die Deutschen nicht davor, zu morden. Zum Weltkrieg gehört jedoch der Selbstfrieden, der ebenso wie der Weltkrieg die ganze Epoche kennzeichnete und nicht nur die Angehörigen eines durch die Struktur scheinbar isolierten Volkes. Die Geschichte macht dadurch selbst die Entstehung von so etwas wie Gewissen innerhalb einer spezifischen Generation unwahrscheinlich wie sie die Entstehung von Gewissen über einen längeren Zeitraum wahrscheinlich macht.

Wenn Europa also den gesamten unbestimmten Kulturen der Welt gegenüberstand, ist die nächste Phase nicht nur insofern ein Fortschritt, weil es “die Transformation” vom Selbst zur Welt vollzog, sondern nun stehen sich zwei Kulturen in ihrer Bestimmtheit gegenüber: die Slawen (in der Gestalt vor allem der Sowjetunion) und die USA. Nun ist nicht mehr der Selbstbezug, sondern der Bezug auf den einen Anderen das bindende Prinzip der Vergemeinschaftung (Bipolarität). Die Kultur der Slawen besitzt in dem Narzissmus-Schema noch zwei weitere Nachbarkulturen: die “Welt” Europas und die für sie unbestimmte Kultur Afrikas. Die USA besitzen nur eine weitere narzisstische Nachbarkultur: die für die “States” unbestimmte Kultur Israels. Gegenüber dem Weltkrieg zeichnet den Kalten Krieg eine erheblich größere Stabilität aus. Mit dieser Stabilität ist aber auch das Vernichtungspotential angestiegen. Sie kann am eindringlichsten durch den Verweis auf die Beherrschung der atomaren Kettenreaktion anschaulich gemacht werden. Eine technische Meisterleistung, deren Unmenschlichkeit selbst von den Nazis nicht verkannt wurde und deren Voraussetzungen auch im zivilisatorischen Bereich liegen. Auch die psychische Kettenreaktion muss beherrscht werden: eine Masse nicht nur vor dem Führer aufgereiht sein, bereit, seine Befehle zu empfangen, sondern im Gegenteil dazu, die Möglichkeiten, Strukturen in den unstrukturierten Zusammenhang zu bringen, nicht zu verwerfen bzw. den unstrukturierten Zusammenhang überhaupt erst einmal als Erfahrungsbereich durch das eigene, nicht anonyme Dasein zu erschließen. Gerade Rock’n’Roll- und Pop-Musik entwickelte  sich nun zu einem Forum für den Umgang mit  zivilisatorischen Strukturen: “Enthemmung für den, der es sich leisten kann und niemanden sonst dabei stört”. Wenn Truman für denKalten Krieg stand, dann Elvis für den Heißen Frieden und er stand später den verirrten Geistern des Punk (sorry, nicht ernst gemeint!) in nichts nach, was die Selbstzerstörung anging. Die Zeit  der erstarkenden Alternativbewegungen (und von Punk etc.) war schon die Zeit des Faserkrieges  und wurde denn auch gleich standesgemäß (im doppelten Sinne) durch Musikbands wie die Stooges eingeläutet. In dieser letzten Phase des Narzissmus kann die Kontrolle selbst über die Kontrolle hinausgehen und der Faserkrieg steht dem Keimfrieden gegenüber. Als die Hippies schon dachten, den eigentlich durch Bands wie die Stooges schon desillusionierten Traum des entgrenz -ten Beisammenseins ausgeschöpft zu haben, wurden neue Strukturen gefunden,  nicht Strukturen in den Strukturen und somit Strukturen in einem größeren oder kleinerem Maßstab im Verhältnis zu anderen ebenfalls vorfindlichen Strukturen, sondern abstrakt: Strukturen der Strukturen. Also statt Hippie: etwas anderes in der Formung, dem auch Namen wie Punk, Underground, Alternative oder Heavy Metal nichts anhaben konnten.

In diesem Faserkrieg ging es darum, dass die Faser nicht riss und “Strömungen” wie Punk waren teilweise Konkurrenzgeschäfte in dem Testen der Reißfestigkeit der exemplarischen Faser. Es endete teilweise hypostasierend, aber nicht unbedingt spaßlos mit Bands, deren Musik einen gehörigen Zahn drauf hatte (z.B. Heresy,Napalm Death),  oder mit Bands (z.B. Butthole Surfers) , die wahrscheinlich selbst gar nicht mal mehr wußten, was sie für Grenzerfahrungen verkauften (wahrscheinlich nur möglich bei entsprechend rigiden Wertvorstellungen!). Die solipsistische Kultur sollte erst am Ende des Faserkrieges ihren Höhepunkt erreichen, sodass nicht nur die Kultur eine eigene Welt wäre (darüber war Europa im Faserkrieg schon hinaus), sondern an dessen Ende  die personalen Ichs (man selbst) in ihrer Diskretheit und Gesamtheit zu eigenen Welten geworden wären. Den Punkt, an dem dieses erreicht worden ist, kann man mit Fug und Recht als die ”Herrschaft Gottes” bezeichnen, denn durch diesen ausdehnungslosen und somit unfassbaren Punkt ohne “eigentlichen” Ort in Raum und Zeit erhält die zukünftige zeitliche Diskretheit ihre u.a. Linearität wie auch alle vorhergehenden Zeitpunkte ihre ebenfalls ausdehnungslosen, aber gerade dadurch fassbaren Identitäten (gegenseitiger Verweis innerhalb einer simplexen Form) durch ihn erhalten. Diese “Herrschaft Gottes” ist also keinesfalls der Wahrnehmung der Mystiker vorbehalten, sondern auch eine durch und durch rationale Angelegenheit. Ratio nur mit dem Schimmer von Mystik! Logisch kann man diesen Punkt ansiedeln zwischen dem “Aufscheinen” der totalen narzisstischen Struktur und dem Beginn der Heranbildung der Ethik an den ontischen Körpern. Am Ende der narzisstischen Soziogenese-Phase – also nach der hexapolaren Weltordnung – ist die narzisstische Struktur komplett. In diesem transpolaren Moment sind alle Kulturen gleichwertig. Es gibt an diesem Punkt keinen werthaften Unterschied z.B. zwischen der deutschen , jüdischen, chinesischen oder islamischen Kultur. Dieser Punkt ist also ein Punkt der “Sammlung”, wo alle Kulturen  ein gemeinsa -mes Weltverhältnis besitzen – aber nur einen Moment lang.  Zwischen diesem momenthaften Punkt und der Ethik liegt dann der ausdehnungslose Punkt der “Herrschaft Gottes”. Noch einfacher: Gott herrscht, nachdem die Welt Selbst ist und bevor die Selbsts Welten sind. Man könnte, wenn man religiöse Kategorien allzu ernst nimmt, diese Herrschaft Gottes auch als die “Aufschiebung des Jüngsten Gerichtes” bezeichnen, durch welche die Macht Gottes, die ja nicht verschwinden kann, nur noch größer wird. Die Ethik könnte demnach als die “permanente Aufschiebung des jüngsten Gerichtes” auch zuerst als das “Anwachsen der Macht Gottes” beschrieben werden.

Die Weltordnung des Faserkrieges erscheint komplexer als diejenige des Kalten Krieges. Nun stehen den Kulturen als Selbsts keine unbestimmten Kulturen mehr gegenüber. Sie grenzen höchstens an Kulturen als Welten oder an Europa (im Falle von Japan) oder an die Kulturen, die mit ihnen als Selbsts die Identität dieser Phase ausmachen. Im Kalten Krieg stehen sich nur zwei Kulturen gegenüber und ihr Gegensatz ist ein gesellschaftlich-realer (im Narzissmus-Schema ein zeilenmäßiger). Im Faserkrieg dagegen stehen sich drei mal zwei Kulturen gegenüber und ihr Gegensatz ist ein gemeinschaftlich-idealer. Die “Analyse” verlangt also hier andere Werkzeuge. Konkret stehen sich ideal gegenüber: Japan und China, Afrika und Indien sowie Israel und der Islam. Das erste und das letzte Pärchen kann man vielleicht noch nachvollziehen, aber Afrika und Indien, der Stamm und die Kaste?

Am einfachsten lassen sich die drei idealen Unvereinbarkeiten im Faserkrieg wohl dadurch vergegenwärtigen, dass man sich zuerst der Grundeinheiten des Zusammenlebens in den verschiedenen Kulturen vergewissert. Dann wird man feststellen, dass das Individuum an die jeweilige Grundeinheit in den totalitaristischen Kulturen lose und in den partikularistischen Kulturen fest gebunden ist. Diese Bindung erfolgt bei den betroffenen universalen Kulturen (Japan und China) von innen, bei den partikulären (Israel und der Islam) von außen und bei Afrika und Indien von innen und außen.  “Lose Bindung” bedeutet hierbei nicht, dass die Bindung selbst relativiert werden könnte, z.B. ein afrikanischer Stammesangehöriger einfach den Stamm wechseln kann. Bei der Bestimmung der kulturellen Grundeinheiten lege ich Wert darauf, dass sie nicht konträr zu den Selbstbeschreibungen in den Kulturen erfolgt. Dass die kulturelle Grundeinheit des Islam die Sekte ist, geht z.B. konform mit der islamischen Überlieferung, dass sich die islamische Gemeinde in 73 Sekten aufteilen würde, wovon allerdings nur eine die Eintracht der Muslime repräsentieren können würde. Bei der kulturellen Grundeinheit Europas scheint man im Gegensatz dazu den Wald vor Bäumen nicht zu sehen. Bei dem Auftreten einer solchen Gefahr ist man nicht schlecht beraten, sich einer Außenseiter-Lektüre zu bedienen. In dem Falle der europäischen Grundeinheit kann die individual-anarchistische Philosophie von Max Stirner gute Dienste leisten, jenem Denker, der die Lücke zwischen Kant und Hegel vollständig ausgefüllt hat. Während in der Weltkriegs-Phase der Selbstbezug das bindende Prinzip der Vergemeinschaftung war und der Weg nur über den Anderen zu sich selber führte, war im Kalten Krieg der Andere schon real und die Konstruktion des Anderen war schon aufgrund des Waffenarsenals und der geographisch-gesellschaftlichen Beschränkungen des Lebensraumes nur sehr begrenzt möglich. Im Faserkrieg bezieht man sich wiederum nun dagegen nicht auf den Anderen an sich, sondern auf das, was außerhalb von ihm liegt. Für diesen Bezug sind diese drei Unvereinbarkeiten erforderlich, in denen sich in unterschiedlicher Form auf den Anderen ideal bezogen wird.


Die weltkulturellen Grundeinheiten des Zusammenlebens